top of page
  • AutorenbildLara Eliasch

Mehr als nur eine Umgebung – 5 Möglichkeiten, wie du das Setting deines Romans optimal ausnutzt



Beim Schreiben des Rohentwurfs konzentrieren wir uns oft erst auf die Handlung, bis das Grundgerüst steht. In der Überarbeitung schauen wir uns dann die Figuren und Dialoge genauer an, bevor wir zum Schluss an Sprache und Stil feilen. Was dabei häufig unter den Tisch fällt, ist das Setting. Der Wechsel von Ort zu Ort wird in einem Nebensatz abgehandelt, die Umgebung kurz mit „ihrem Zimmer“ beschrieben und Dialoge finden gern mal im luftleeren Raum statt.


Dabei ist das Setting DER Faktor, der die Bilder beim Lesen befeuert. Das Kopfkino bleibt nur ein vages Flimmern, solange es nicht durch konkrete Trigger in Gang gesetzt wird. Oft höre ich davon, dass eine möglichst allgemeine Beschreibung mehr Raum für die eigene Fantasie gebe.

Ein Trugschluss. Im Gegenteil: Je konkreter die Hinweise, desto mehr "Stoff" bekommt die Fantasie, aus der sie ihre eigenen Bilder weiterspinnen kann.


Mach den Selbstversuch. Was löst mehr Bilder in dir aus?:


A: »Im Zimmer standen ein Kinderbett, ein Schrank und ein Stuhl.«
B: »Eine pastellrosa Häkeldecke lag in dem weißen Gitterbettchen, über dem ein Sternenmobile kreiste, daneben ein gepolsterter Lehnstuhl in denselben Farben.«

Lass mich raten: B? Das wundert mich nicht, denn hier wecken Schlagwörter wie "pastellrosa" und "Häkeldecke" gepaart mit konkreten Details wie dem Sternenmobile mehr Assoziationen in uns. Wir rufen schneller ein internalisiertes Konzept auf, das wir mit diesen Informationen verbinden. Hier das Konzept "Babyzimmer" und alles, was uns dazu einfällt. Der Schrank musste dabei im zweiten Beispiel nicht einmal erwähnt werden, da er nicht effektiv zum gewünschten Bild beiträgt.


Tipp: Wenn du erst konkrete Konzepte bedienst und diese dann brichst, bringt dir das spannende Irritationsmomente, die die Aufmerksamkeit der Leser wieder steigern. Prangt irgendwo ein auffälliger Fleck auf der Babydecke? Hängt da etwa noch das Preisschild am Mobile? Die offenen Fragen tragen direkt zum Spannungsaufbau bei.


Nutze für deine Settingbeschreibungen also möglichst aussagekräftige Details, um die gewünschten Bilder zu erzeugen.


Bleibe hier aber nicht stehen. Das Setting kann so viel mehr für dich leisten, wenn du es sinnvoll einsetzt. Fünf Möglichkeiten gebe ich dir hier:


🧚‍♀️Nr. 1 Nutze das Setting, um Orientierung zu geben

Park Herbst menschenleer zwei Parkbänke

»Die letzten Sonnenstrahlen blitzten durch die kargen Winteräste. Kein Mensch kreuzte ihren Weg. Sie hasste diese dunkle Ecke des Parks.«

Nutze das Setting, um eine zeitliche und örtliche Orientierung zu geben. Durch die Hinweise schließen die Leser selbst daraus, welche Jahres- und Tageszeit vorherrscht und wo der Protagonist sich gerade befindet. Gerade zu Beginn einer neuen Szene oder eines Kapitels sind solche kleinen Wegweiser hilfreich, um direkt in die Handlung einzusteigen, statt sich erst mit statischen Expositionen aufzuhalten.


»Es war ein Abend im Herbst und sie ging durch den Park« würde zwar dasselbe Setting bedienen, aber die Szene würde mit deutlich mehr Distanz starten. Es bräuchte also mehr Anlauf, um ins unmittelbare Erleben des Protagonisten einzusteigen.

Deshalb: Binde bei Zeit- und Ortswechsel möglichst unauffällig Hinweise in die Handlung ein, die deinen Lesern helfen, sich zeitlich und örtlich zu orientieren.


🧚‍♀️ Nr. 2 Nutze das Setting, um deine Figuren zu charakterisieren


Kuscheltiere unter der Decke, Hase, Teddybär
»Tanja hing ihre Jacke auf den Biene-Maja-Kleiderhaken an der Tür, startete ihre One-Direction-Playlist und schmiss sich zwischen Hasi und die anderen Kuscheltiere aufs Bett.«

Na? Was für ein Typ ist Tanja wohl? Könnte ein junges Teeny-Mädchen sein, interessanter wäre es aber, wenn es sich um eine 30-jährige Anwaltsgehilfin handeln würde.


Unterschätze nie, wie viel das Setting über deine Figuren aussagen kann. Filmemacher wissen das sehr gut. Achte mal darauf, wie die Wohnungen, Häuser und vor allem Schlafzimmer der Figuren aussehen. Achte auf die Details und die persönlichen Gegenstände. Welche Dinge sind den Figuren wichtig? Wie ordentlich oder chaotisch ist es? Welche Musik hören sie – oder schalten sie bei einer bestimmten Musik direkt ab? Was räumen sie hastig weg, bevor der Schwarm kommt? Wonach riecht es?

All das rundet das Charakterbild deiner Figuren völlig natürlich ab. Vor allem kannst du durch die Beschreibung ihres Zuhauses aber auch wunderbar ausdrücken, was die Figuren sich nie selbst eingestehen würden. Die Anwaltsgehilfin würde vor ihren Kolleginnen vermutlich nicht zugeben, dass sie die Musik ihres Teenyschwarms zum Einschlafen hört, aber hier kannst du diese verborgene Seite ausdrücken. Selbst die Dinge, die sich die Protagonisten selbst nicht eingestehen – ihre blinden Flecken – können hier deutlich gemacht werden. Vielleicht hält Michelle sich für eine perfekt organisierte Supermanagerin, ihre Schränke und Schubladen quellen aber vor Chaos über – ein perfekter Hinweis, um auf ihre Selbstlügen hinzudeuten.


Aber nicht nur die persönlichen Räume deiner Figur sagen viel über sie aus. Den Kreis kannst du immer weiter vergrößern: Was steht auf ihrem Schreibtisch am Arbeitsplatz? An welche Orte zieht sie sich zurück, wenn sie nachdenken will? Wo geht sie besonders ungern hin und wie sieht es dort aus? Wo fühlt sie sich am wohlsten? Durch all diese Umgebungen setzt du die Figur in einen neuen Kontext, wir koppeln die Orte mit ihrer persönlichen Bewertung, ihrem Gemütszustand und ihren Vorlieben. Damit entsteht wie von selbst eine vollumfängliche Personenbeschreibung, wir "erfühlen" den Charakter, bevor wir ihre Eigenarten explizit genannt bekommen, und entwickeln ein Gespür für ihren wahren Charakter unter der Oberfläche – besonders spannend, wenn dies im Kontrast zum Offensichtlichen steht.


Nutze also die besondere Magie dieser bedeutungsvollen Orte und zeige damit, wie deine Figur tickt.


🧚‍♀️ Nr. 3 Nutze das Setting, um eine Atmosphäre zu erzeugen

Nebel, Wald, leere Straße, kahle Äste

»Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, während sie durch den dunklen Nebel ritt. Zweige streiften sie mit ihren knochigen Fingern. Krähenschreie hallten aus den Baumkronen, wurden immer lauter, genauso wie ihr Herz.«


Durch kaum etwas anderes kannst du so effektiv die gewünschte Atmosphäre aufbauen wie durch das Setting. Hier zählt jeder Satz. Jedes Detail muss sich dem Gesamtbild fügen, das du vermitteln willst, damit ein stimmungsvolles Ganzes kreiert wird.

Würde oben zum Beispiel "der Wind säuselte" stehen, würde es eine komplett andere Stimmung vermitteln. Zwar könnte es genauso düster und bedrohlich wirken, würde aber mit deutlich mehr Vorsicht und Bedächtigkeit einhergehen. Die Formulierung "der Wind peitschte" hingegen erzeugt Dynamik, es entsteht das Gefühl von Hetze. Handelt es sich um eine Jagd oder eine Flucht, bräuchte es genau diese Dynamik. Sucht die Person dagegen jemanden oder hat sich verlaufen, würden kleinere, knackende Geräusche, ein Säuseln etc. sinnvoller sein, um die Anspannung zu betonen.

Heißt: Nutze aussagekräftige Schlagwörter, die das gewünschte Gefühl unterstreichen.

Tipp: Bevorzuge dabei aktive, starke Verben. »Es war windig« hat noch lange nicht dieselbe Wirkung wie »Der Wind peitschte ihr ins Gesicht«. Genauso wäre ein »Es schien ihr immer lauter zu werden« weniger effektiv als ein »Es wurde immer lauter«.


Wichtig sind hier auch die Setting-Elemente, die du einbaust. Genauso wie im oberen Babyzimmer-Beispiel schaffen erst konkrete Bilder es, die Fantasie in Gang zu bringen. Bleibe also nicht bei Konzeptwörtern (Oberkategorien) wie »Vögel«, wenn du auch »Krähen« sagen kannst. Denn du ahnst: Mit »Krähen« assoziieren wir völlig andere Bilder und springen damit schneller auf die gewünschte Stimmung auf als mit dem allgemeinen »Vögel«.


Ein essentieller Aspekt ist es hier noch, alle fünf Sinne anzusprechen. Stimmungen lassen sich besonders schnell und intensiv mitfühlen, wenn wir dicht am Erleben des Protagonisten bleiben. In den drei Sätzen des Beispiels haben wir bereits drei Sinne bedient:

  • Sehen: Der dunkle Nebel

  • Spüren: Der Wind, die streifenden Zweige

  • Hören: Krähenschreie

Es wäre sicherlich noch möglich, den Geruchs- und Geschmackssinn einzubinden, aber lass es nicht zu gewollt klingen und betone nur die Sinne, die in der Passage auch am stärksten bedient werden. Sicherlich riecht die Person auch etwas in dieser Nebelszene, aber der peitschende Wind wird stärker wahrgenommen, sodass dieser zuerst beschrieben werden sollte.


Tipp: Zeige immer das Auffälligste zuerst. Das ist ein Leitfaden, der auch allgemein gilt. Steht ein rosa Elefant im Raum, beschreibe bitte nicht zuerst die blauen Gardinen am Fenster ;).


Nutze also effektive Schlagwörter, eine aktive Sprache und alle fünf Sinne, um die Atmosphäre zu erzeugen, die deine Leser in dieser Szene spüren sollen.


🧚‍♀️ Nr. 4 Nutze das Setting, um Konflikte zu verstärken


Tellerstapel, Keramikteller
»Ein saurer Geruch strömt aus meiner geliebten Küche. Beim Betreten knirscht der Boden unter meinen Hausschuhen. Die Spüle habe ich blitzblank hinterlassen, doch nun stapelt sich hier das dreckige Geschirr. Wenn Hans nach Hause kommt, kann er was erleben.«

Eine unterschätzte Möglichkeit ist es, durch das Setting die Konflikte zu verstärken. Jede Szene lebt von Konflikten, die Gründe können aber auf den unterschiedlichsten Ebenen zu finden sein und im Zwischenmenschlichen ebenso wie auf äußeren Umständen beruhen. Was sie aber immer brauchen, um an die Oberfläche zu gelangen, sind Auslöser. Nutze das Setting, um zu diesen Auslösern zu führen.


Was das Fass deiner Protagonisten zum Überlaufen bringt, können zig verschiedene Dinge sein:

  • Etwas ist nicht mehr an seinem Platz.

  • Jemand ist an die persönlichen Sachen des Protagonisten gegangen.

  • Jemand hat den Tatort verändert.

  • Es wurden Sachen entwendet.

  • Es verschwinden Spuren.

  • etc.

Allen gemeinsam ist hier das veränderte Setting. Etwas, das der Protagonist anders vorfindet als vorher.


Ebenso kannst du ein verschlimmertes Setting einsetzen. Etwas, das die Situation des Protagonisten deutlich verschärft. Seine Umgebung spielt auf einmal gegen ihn und reizt ihn bis aufs Blut. Beispiele:

  • Wetterbedingungen: Einsetzender Regen/Schnee/Sturm oder meinetwegen ein Regenschneesturm. Genauso auch Hitze.

  • Sinne werden traktiert: Ein beißender Gestank, blendendes Licht, ekelerregender Geschmack, Lärm etc.

Halte dir hier vor Augen: Die Konflikte müssen vorher schon da sein. Hätten Hans und Hanna eine harmonische Beziehung, würde sie das dreckige Geschirr in der Küche wohl weniger stören. Das Setting dient als Katalysator, um diese vorhandenen Spannungen an die Oberfläche zu bringen und die Situation des Protagonisten zu verschärfen.



🧚‍♀️ Nr. 5 Nutze das Setting, um Informationen zu vermitteln

Arbeitsplatz, Computer, Schreibtisch
»Er platzierte das Familienfoto vom letzten Spanienurlaub neben den Mac-Monitor, fuhr mit den Fingern über den gläsernen Schreibtisch und lehnte sich ins schwarze Leder seines Bürosessels. Nach all den Jahren hatte er es endlich geschafft.«

Infodump will keiner haben, irgendwo müssen die Informationen aber hin. Warum nicht ins Setting? Ein eleganter Weg, unaufdringlich den Rahmen zu stecken und beiläufige Infos einzustreuen. Ein kleines Familienfoto, und schon kann ich etwas über die Familienangehörigen erzählen. Der neue Computer – es geht bergauf im Job. Ein bestimmter Eintrag im Terminkalender? Aha, der Protagonist hatte ein Treffen mit XY.


Wichtig dabei: Die Aufmerksamkeit deines Protagonisten für diese Details muss sich aus der Szene ergeben. Wenn die Figur seit zwanzig Jahren dasselbe Foto auf dem Schreibtisch stehen hat, warum sollte sie dem Bild genau jetzt mehr Aufmerksamkeit geben als sonst? Weil die Leser von den zwei Stiefkindern erfahren sollen, ist klar, aber dann bewegst du dich wieder gefährlich nah an Infodump heran. Gebe der Figur also einen Grund, sich mit dem Setting zu beschäftigen. Stößt der Protagonist das Bild versehentlich um? Gibt es einen Anlass, warum er sich an den Spanienurlaub auf dem Bild erinnert? Fragt eine neue Mitarbeiterin nach seinen Kindern?

Baue also natürliche Anlässe ein, um über das Setting zu reden und darüber Informationen zu vermitteln.


Zusammenfassung


Das Setting ist es erst, das das Kopfkino deiner Leserinnen und Leser in Gang setzt und die Bilder lebendig macht. Nutze hier konkrete Details, um Assoziationen zu wecken und die Fantasie zu beflügeln.


Es kann noch so viel mehr als das. Durch das Setting schaffst du es im Vorbeigehen, eine zeitliche und örtliche Orientierung zu geben, deine Figuren eindrücklich zu charakterisieren, Atmosphäre aufzubauen, Konflikte zu verstärken und Informationen zu vermitteln. Diese Aspekte überschneiden sich natürlich, eine Setting-Passage kann mehr als nur eine Aufgabe leisten. Wichtig ist aber, dass sie eine dieser Funktionen erfüllt, denn andernfalls könnte sie als langatmig und überflüssig empfunden werden.


Schöpfe also das Potenzial deines Settings voll aus! Wenn du Hilfe dabei brauchst, melde dich gern übers Kontaktformular oder schreib einen Kommentar ;).


Deine Larissa

Comments


bottom of page