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  • AutorenbildLara Eliasch

Ein Hoch auf den Bösewicht – warum starke Antagonisten erst starke Storys schaffen


 
Bösewicht Drache Dunkelheit
Bildquelle: Wix

Inhalt:


1. Der wahre Held deiner Story

2. Was ist ein Antagonist und welche Rolle spielt er in der Story?

3. Externe Antagonisten, interne Widerstände und alles dazwischen

4. Sieben Tipps, wie du deinen optimalen Antagonisten entwickelst

5. Zusammenfassung



1. Der wahre Held deiner Story


Was wären Batman ohne Joker, Harry Potter ohne Voldemort und Luke Skywalker ohne Darth Vader? Richtig. Keine Helden. Vermutlich würden sie gar auf ihren Sofas sitzen und Chips futtern. Denn – seien wir mal ehrlich – eine Stadt, eine Welt oder gar die ganze Galaxie zu retten ist sicherlich nichts, was man ohne konkreten Anlass anfängt. Effiziente Energieeinteilung eben.


Gute Geschichten leben von ihren Bösewichten und Halunken, von Türstehern und Spielverderbern, von Schurken und Schwiegermüttern, die den Helden ins Schwitzen bringen und uns den Atem anhalten lassen. Diese Klientel, gemeinhin als Antagonisten bekannt, fristet ihr Schattendasein oftmals unter Brot und Wasser, sträflich vernachlässigt von Autorenratgebern und Merchandiseherstellern. Dabei tragen sie doch die Hauptbürde, wenn es darum geht, den Protagonisten zu seinem Glanz zu verhelfen und ihn zu Höchstleistungen anzutreiben. Sie sind gewissermaßen die Bootcamp-Generäle mit der Trillerpfeife um den Hals, die die Rekruten vornehmlich durch Gebrüll anfeuern, während diese durch den Dreck robben. Ihnen haben die Helden ihren Ruhm zu verdanken. Wer hätte sich ohne Sauron schon an Frodo erinnert?


What?, sagst du jetzt, das geht doch zu weit! Ist nicht der Held der eigentliche Star der Geschichte? Er ist es doch, der letztlich siegt, den Fall löst, die holde Prinzessin ehelicht!

Natürlich. Doch er würde nie irgendwo – geschweige denn an sein Ziel – gelangen, wenn der Antagonist ihm nicht genügend Hindernisse in den Weg legen würde, die er dazu erst ausräumen müsste.


Darum ist heute einmal der Antagonist der Star dieses Artikels *jetzt die Luftschlangen bitte*. Wir schauen uns an, was die Stellenbeschreibung eines Antagonisten genau auszeichnet, wie seine Funktion in der Story zu verstehen ist und welche Arten von antagonistischen Kräften es gibt, bevor ich dir sieben Tipps an die Hand gebe, mit denen du deinen optimalen Antagonisten entwerfen kannst – wenn du dich traust, ihn endlich von den Ketten zu lösen ;).


Kleiner Hinweis: Mit „der Antagonist“ ist im Folgenden die Funktion des Antagonisten gemeint, was männliche, weibliche, dingliche und sonstige Antagonisten umfasst. Das gilt ebenso für den Protagonisten.



2. Was ist ein Antagonist und welche Rolle spielt er in der Story?


Ein Antagonist ist derjenige, der sich dem Protagonisten in den Weg stellt und ihn am Erreichen seiner Ziele und Wünsche hindert. Erst durch diese Hindernisse wächst der Protagonist über sich hinaus und zeigt all die Stärken auf, die wir an ihm so lieben. Wie im echten Leben eben: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Damit dient der Antagonist dem Protagonisten und ist unerlässlich für seine Entwicklung. Alle die wunderbaren Eigenschaften des Helden werden erst richtig zutage gefördert, wenn er auf Widerstand stößt, in die Ecke gedrängt wird und zu handfesten Entscheidungen forciert wird.


Gleichzeitig nährt der Schurke die Handlung deiner Story und bringt erst die nötigen Twists in Gang, die deinem Plot die richtige Würze geben und ihn einzigartig und lebendig machen. Dein Protagonist hat starke Ziele, die er um jeden Preis erreichen will? Wunderbar. Ganz ohne Stolpersteine, Sackgassen, Verirrungen und Rückschläge wäre es jedoch ein sehr langweiliger Weg. Ein Spaziergang ohne Mühe und Not. Was würde das anderes bedeuten, als einen vorhersehbaren Plot?

Der Antagonist hat also die wichtige Aufgabe, maximalen Druck auf den Protagonisten auszuüben, ihm Beinchen zu stellen und seine Bemühungen immer wieder zu vereiteln. Das sorgt für überraschende Wendungen in deinem Plot. Der Protagonist ist gezwungen, von seinen Plänen abzuweichen und nach neuen Lösungen zu suchen. Lösungen, die der Protagonist am Anfang seines Weges ganz bestimmt nicht eingeplant hatte und die deine Leser begeistern werden.


Jetzt sagst du vielleicht: „Schön und gut. Ich schreibe aber an einer Liebesgeschichte. In meiner Story gibt es keinen Bösewicht“, oder: „In meinem Gesellschaftsroman sind irgendwie alle weder gut noch böse“, oder: „Mein Protagonist ist allein auf einer einsamen Insel. Das mit dem Antagonisten betrifft meine Geschichte also nicht.“

Doch, tut es! Je nach Genre und Subgenre zeigen sich die antagonistischen Kräfte zwar in einem unterschiedlichen Gewand, ihre Kernfunktionen bleiben jedoch dieselben: Sie stellen sich dem Protagonisten in den Weg.

In der konkreten Gestaltung stehen uns zwei Kategorisierungskisten zur Verfügung, in denen wir nach Herzenslust wühlen, auswählen und kombinieren dürfen: Die externen und die internen antagonistischen Kräfte.



3. Externe Antagonisten, interne Widerstände und alles dazwischen


Mit den externen Antagonisten ist alles gemeint, was – Überraschung – von außen an den Protagonisten herangetragen wird und ihn am Fortkommen hindert. Dies können


· reale Personen und Wesen,

· übernatürliche Kräfte,

· soziale Hierarchien,

· Natureinwirkungen,

· ein übergeordnetes System

· oder sogar etwas Ungreifbares wie die Zeit sein.


Diese externen Einwirkungen müssen es nicht zwangsläufig direkt auf den Protagonisten abgesehen haben, müssen keine an sich bösen Absichten haben, müssen nicht einmal von dem Protagonisten als Widersacher wahrgenommen werden. Wichtig ist nur: Sie wirken von außen auf den Protagonisten ein und stehen seinen Zielen im Weg.

Oftmals gibt es mehrere externe Antagonisten, oder besser gesagt: Externe Widerstände verteilen sich oftmals auf mehrere Schultern, wie die folgenden Beispiele zeigen:


  • In 96 Hours mit Liam Nesson (2008) hat der Protagonist vier Tage Zeit, seine Tochter aus einem Mädchenhändlerring zu befreien, bevor sie weiterverkauft wird und sich jegliche Spur von ihr verliert. Damit sind zum einen die Entführer die leibhaftigen Antagonisten, zum anderen ist die Zeit als antagonistische Kraft zu begreifen. Beide Widerstände zusammen maximieren den Druck auf den Protagonisten.

  • In Tribute von Panem ist Snow als Oberhaupt von Panem der eigentliche Widersacher der Geschichte. Er hält sich jedoch die meiste Zeit der Trilogie im Hintergrund und spinnt seine Fäden. Die Hungerspiele sind es, die den konkreten Druck auf Katniss ausüben und sie über sich hinauswachsen lassen. Es reicht jedoch nicht, dass sie aus dem System der Hungerspiele ausbricht und als Siegerin hervorgeht – den endgültigen Sieg hat sie erst, als sie Snow tötet. Der Antagonist ist hier also eine leibhaftige Person, deren unterdrückende Attitüde in dem beherrschenden System manifestiert wird.

  • In Orwells 1984 ist es ein gesichtsloses System, von dem Protagonist Winston unterdrückt wird. O’Brian tritt anfangs als Freund und Kollege auf, gestaltet sich aber als einer der Vertreter dieses Systems und dessen Wertvorstellungen. Hier zeigt sich eine Parallele zu dem Film Matrix: Der wahre Antagonist in 1984 und Matrix ist das übergeordnete System. Die einzelnen Vertreter, die im Kontakt mit dem Protagonisten stehen, sind nur Handlanger. Es reicht nicht, dass Neo Agent Smith tötet (und immer wieder tötet). Er muss anders als in Tribute von Panem das System besiegen, um als wahrer Sieger hervorzugehen.

  • In Agatha Christies Mord im Orient Express sind es die falschen Fährten und konstruierten Zeugenaussagen, die Poirot am Finden des wahren Täters (oder besser gesagt, der wahren Täter) hindern. Ein gemeinsamer Aspekt der meisten Kriminalgeschichten: Der Täter als Antagonist verwischt seine Spuren und hindert den Ermittler damit am Lösen seines Falls.

  • In Stolz und Vorurteil ist es die vom Hierarchie- und Klassendenken geprägte soziale Struktur, die Elizabeth und Mr. Darcy daran hindern, sich ihre Liebe einzugestehen. Dieses Klassendenken wird von jeder einzelnen Figur der Geschichte auf ihre eigene Art und Weise vertreten und gestützt – auch von den beiden Hauptfiguren selbst.


Womit wir bei den internen antagonistischen Kräften landen. Diese speisen sich aus den Ängsten, Sorgen, Obsessionen und Zweifeln des Protagonisten. Es sind die inneren Hürden, die ihn am Fortkommen hindern. In einer Liebesgeschichte sind es zumeist diese inneren Widerstände zwischen Protagonist und Love Interest, die ihnen im Weg stehen. Um beim Beispiel Stolz und Vorurteil zu bleiben: Die Vorurteile von Elizabeth und der Stolz von Mr. Darcy sind die Hürden, die sie überwinden müssen, um eine Liebesbeziehung eingehen zu können – gepaart mit den externen Widerständen der sozialen Strukturen.


Hierin wird bereits offenbar, was für viele Geschichten gilt und sie erst richtig rund werden lässt: Optimal ist es, wenn die externen und internen Widerstände eine Verbindung aufzeigen und sich gegenseitig befeuern. Wenn der leibhaftige Antagonist den sozialen Druck repräsentiert und zugleich die inneren Hürden des Protagonisten verbildlicht. Wenn das Monster die schlimmsten Ängste des Helden personifiziert. Wenn das korrupte System einen starken leibhaftigen Vertreter hat, der all die Schwächen des Protagonisten zutage fördert …


Beispiele:

  • Neo kämpft mit seiner eigenen Unsicherheit und seinen Selbstzweifeln. Er sieht sich als das unbedeutende Rädchen am Getriebe. Agent Smith und die Matrix (real existierende Person und übergeordnetes System) bestärken ihn in eben diesem Eindruck und wollen ihm weißmachen, dass er genau das ist: Eine unbedeutende Batteriezelle im riesigen System der Matrix, austauschbar und wertlos.

  • In David Nicholls’ Zwei an einem Tag stehen die äußeren Misserfolge für die eigenen Hürden der Protagonisten: Emma sucht nach dem Großen und Erhabenen, Dexter nach Freiheit. Erst, als sie Scheitern als Teil ihres Lebens akzeptiert und er lernt, Verantwortung zu übernehmen, finden sie zusammen.

  • In dem Film Wall Street steht der über die Maßen erfolgreiche Finanzhai Gordon Gekko für all das, was sich der kleine Börsenmakler Bud Fox erhofft: Erfolg, Einfluss, Macht und Geld. Damit repräsentiert Gekko gleichzeitig all die internen kleinen Teufelchen in Bud, die ihn zu Gier und Machtstreben verlocken wollen. Es liegt an Bud, ob er sich gegen Gekko – und damit auch gegen seine eigenen antagonistischen Kräfte – stellen will oder sich von ihnen überwinden lässt.


Aber wie genau soll er nun sein, der perfekte Antagonist? Was zeichnet ihn aus und wo fange ich an, wenn ich einen Antagonisten plane? Damit beschäftigen wir uns im nächsten Punkt. Als Hinweis: Um es fassbarer zu machen, konzentrieren wir uns jetzt auf real erfahrbare Personen als Antagonisten. Die Prinzipien lassen sich genauso auf Systeme, auf die Natur, auf interne antagonistische Kräfte usw. übertragen.



4. Sieben Tipps, wie du deinen optimalen Antagonisten entwickelst



Tipp 1: Plane den Antagonisten zuerst


Dies ist ein echter Geheimtipp! Plane den Antagonisten zuerst, noch bevor du an den Protagonisten oder an den Plot denkst. Warum? Siehe oben: Je stärker dein Antagonist ist, desto stärker und vielschichtiger wird dein Held, desto spannungsgeladener wird automatisch dein Plot. Andersrum kann schnell vergessen werden, worum es im Kern überhaupt gehen soll. Dazu schreibt Shawn Coyne:


„Writers become so enamoured with their protagonist that they lose the fact that the protagonist is not the driving force that really keeps the people reading. The thing that really keeps people glued to the story is the villain. It’s the force of evil.”


Du wirst merken: Ein starker Antagonist am Anfang deiner Planung wird deine gesamte Figurenentwicklung und deinen Plot mit einer ganz eigenen Energie antreiben.



Tipp 2: Gib dem Antagonisten eine klare, nachvollziehbare und eigene Prämisse, auf der er sein Weltbild aufbaut


Um sich dem Antagonisten zu nähern, ist ein grundlegendes Verständnis für das Dunkle im Menschen hilfreich. Was sind die fundamentalen Kräfte, die einen Menschen im Leben antreiben? Was lässt sie zu machtstrebenden, fiesen Unterdrückern werden? Dieser Punkt ist wichtig, denn nichts geht ohne Motive. Er will die Welt zerstören, weil ist so, funktioniert nicht. Warum will er das?


Hier muss klar sein: Es gibt subjektive Wahrheiten, die der Mensch akzeptiert, für richtig befindet und von denen er sich antreiben lässt. Welche Wahrheit befindet dein Antagonist für gut, sinnvoll und richtig? Alles, was der Mensch tut, kann der Erschaffung oder der Dekonstruktion dienen. Welche kleinen Entscheidungen haben ihn dahin geführt, dass er die Dekonstruktion als etwas Gutes empfindet? Gehe ruhig von dir aus: Was könnte dich dazu treiben, Kompromisse einzugehen, das Korrupte zu akzeptieren, das Dekonstruktive zu wählen?

Ich gehe mal stark davon aus, dass du niemanden einsperren würdest, der anders denkt als du. Doch schon das Naserümpfen über jemanden, der sich in der Schlange vordrängelt, kann bereits ein erster Schritt in diese Richtung sein. Man ändere nur einige Variablen hier und da, verzerrt die sozialen Werte und Normen ein wenig, verstärkt die Konsequenzen und lässt etwas mehr Macht einfließen – und schon wird aus dem Naserümpfer ein waschechter Diktator. Brücke nachvollziehbar?

Entscheidend ist: Jeder Antagonist baut seine Weltsicht auf einer klaren Prämisse auf. Eine Prämisse, die jeder von uns in Ansätzen genauso nachvollziehen könnte, sich aber in einer Lüge manifestiert. Mach dir diese eine Prämisse klar, gestalte sie aus, bau darauf auf, und du wirst den Leser von ihr überzeugen. Gute Antagonisten lassen den Leser am Ende ausrufen: Ja Mann, der hat so recht!


Beispiele gefällig?:


  • Prämisse: Wohlstand sorgt für Sicherheit. Ausgestaltung: Der Antagonist will um jeden Preis den eigenen Wohlstand festigen und alles aus seinem Leben bannen, das diese Sicherheit gefährden könnte. Siehe Tribute von Panem.

  • Prämisse: Ich will überleben. Ausgestaltung: Das parasitenähnliche Monster folgt seinem ureigenen Überlebensinstinkt, wenn es Crewmitglieder als Wirte benutzt. Siehe Alien (1979).

  • Prämisse: Das Böse in der Welt bleibt sowieso ungesühnt. Ausgestaltung: Traumatisierter Mann tötet seine Mutter, die für all das Leid in seiner Kindheit verantwortlich war, begeht danach einen Mord nach dem anderen und kommt damit durch, um als lebender Beweis seiner Prämisse zu dienen. Siehe Joker (2019).

  • Prämisse: Reiche Menschen sind eingebildet. Ausgestaltung: Die niedrigere Klasse wird erhöht, Schwarz-Weiß-Denken gefördert und Vorurteile gegenüber Wohlhabenden genährt, sodass eine Beziehung zu einem Mann höherer Klasse unmöglich erscheint. Siehe Stolz und Vorurteil.



Tipp 3: Schaffe eine klare Verbindung zum Protagonisten, um maximalen Konflikt zu erzeugen


Die Prämisse allein lässt den Antagonisten unter Umständen in einem luftleeren Raum verpuffen. Was juckt mich ein fieser Alien in einem Raumschiff Lichtjahre von mir entfernt? Sitze ich jedoch in diesem Raumschiff, hui, da juckt es mich doch sehr.


Konkret bedeutet das: Inwieweit beeinflusst der Antagonist deinen Protagonisten? Schaffe hier einen klaren Bezug zwischen den Bedürfnissen und Zielen beider Figuren. Dies kannst du auf drei verschiedene Weisen darstellen:


  1. Der Antagonist will genau das Gleiche wie der Protagonist. Es sind zwei Bewerber für eine Stelle, sie lieben ein und dieselbe Frau, sie suchen den Sieg in einem Wettkampf … Hans Peter Roentgen vergleicht sie hier mit zwei Hunden, die sich um einen Knochen streiten.

  2. Der Antagonist will genau das Gegenteil von dem, was der Protagonist anstrebt. Die junge Witwe will eine neue Beziehung eingehen, die Schwiegermutter allerdings will, dass man ihren Jungen nicht vergisst. Die Regierung will das Volk kontrollieren, der Held will die Freiheit. Die Frau will in Spanien Urlaub machen, der Mann in Finnland ... Wichtig ist: Beide Ziele stehen sich im Weg, nur einer kann gewinnen.

  3. Der Antagonist will das gleiche Ziel erreichen, jedoch mit gegenteiligen Mitteln. In der Anime-Serie Death Notes sind Protagonist und Antagonist Verbrechern auf der Spur (gleiches Ziel). L jedoch als Detektiv, Light als eine Art Sensenmann, der Straftäter durch seine Death Notes auf der Stelle sterben lässt, was Detektiv L auf den Plan ruft. Die gleichen Motive schaffen eine Gemeinsamkeit zwischen Held und Gegenspieler, die unvereinbaren Mittel den Konflikt.


Wichtig ist, dass jede Handlung des Antagonisten eine Handlung des Protagonisten auslöst. Der Protagonist kann den Antagonisten nicht ignorieren und wird zu einer Reaktion gezwungen. Genauso auch umgekehrt: Wie der Protagonist handelt, betrifft unmittelbar auch den Antagonisten. Was auch immer der eine tut, muss den anderen beeinflussen.

Wenn es ihn nicht betrifft, sind die Ziele beider Seiten vermutlich noch nicht genug miteinander verwoben.

Bei alledem sollte der maximale Konflikt zwischen den beiden angestrebt werden.


Bestärkt wird der Konflikt zusätzlich dann, wenn das Leben des Antagonisten auf irgendeine Art und Weise mit dem Leben des Protagonisten verbunden sind und der Konflikt damit unausweichlich ist, ja beinah schicksalhaft erscheint.


Beispiele:

  • Joker hat die Eltern von Bruce Wayne alias Batman getötet, ihn jedoch am Leben gelassen.

  • Darth Vader ist Luke Skywalkers Vater.

  • Voldemort hat Harry Potters Eltern umgebracht.

  • O’Brian ist ein Kollege von Winston, erweckt anfangs den Anschein eines Verbündeten von Winston, gar als sein Vorbild.

  • Snow und Katniss schätzen die Intelligenz des anderen und begegnen sich auf Augenhöhe. Snow spricht davon, dass sie keine Geheimnisse haben sollen, womit eine besondere Vertraulichkeit erweckt wird.

  • Scar ist Simbas Onkel und wäre eigentlicher Thronfolger, wenn nicht der Rotzbengel von einem Thronfolger Simba geboren werden würde.


Solche Verflechtungen sind großartig, um eine emotionale Bindung zwischen Protagonist und Antagonist aufzubauen, ergo, den Druck auf den Protagonisten und damit den Konflikt zu erhöhen.



Tipp 4: Erhöhe die Kosten


Wenn wir schon beim Erhöhen sind: Nicht nur der Protagonist darf etwas zu verlieren haben. Erhöhe auch auf Seiten des Antagonisten die Kosten, um ihn glaubwürdig zu machen. Keiner würde ein maximales Risiko eingehen, wenn nicht gewaltig etwas auf dem Spiel stehen würde. Diese Dinge sind es gleichzeitig, die ihn sympathisch machen. Wofür würde er seinen Fall riskieren? Geld, Ruhm, Gerechtigkeit, persönlicher Aufstieg, Schutz der Familie? Genau hier sind vielleicht seine Schwachstellen zu finden. Was hält der Protagonist gegen ihn in der Hand? Was sind die Kosten und Konsequenzen für den Antagonisten, wenn er verliert?

Mache diesen Punkt klar, stelle es in direkten Bezug zum Protagonisten und lasse ihn desaströs hoch sein. Selbst ein Joker, der scheinbar nichts mehr zu verlieren hat, hängt einem Weltbild nach, das zerstört werden könnte, und schafft es damit, auf irgendeine kranke Art und Weise die Empathie des Zuschauers zu gewinnen.



Tipp 5: Lasse ihn stärker als den Protagonisten sein


Wie jetzt? Der Held soll doch am Ende gewinnen!?

Wenn der Protagonist siegen soll, dann wird er das auch schaffen. Wenn der Antagonist jedoch als Gegner ernstgenommen werden soll, muss er stärker sein. Denn: Ein schwächerer Gegner wird belächelt. Ein gleichstarker respektiert. Ein stärkerer gefürchtet.

Und das ist es, was die Leser wollen. Wenn es kein Zurück mehr gibt, alles auf dem Spiel steht und die Situation aussichtslos erscheint, werden sie das Buch nicht mehr aus den Händen legen. Lass den Antagonisten also Szene für Szene siegen, die Errungenschaften des Helden zunichte machen, den Protagonisten immer wieder an ihm scheitern lassen – bis zum Schluss, in dem sich alles entscheidet.


Diese Überlegenheit macht gleichzeitig einen unheimlich großen Reiz am Bösen, Dunklen, Abgründigen aus. Neben dem schmächtigen Hornbrillenträger und Zauberanfänger Harry wirkt Voldemort wie einer, der auf dem Schulhof immer zu den Cool Kids gehörte. Frodo wirkt neben Sauron wie eine verängstigte Handpuppe und vor dem Schwarzenegger-Terminator haben wir uns nur so lange in die Hosen gemacht, bis das Nachfolgemodell T-1000 in Erscheinung trat und ihn in Skills und starrem Blick weit überholte. Ich mein – flüssiges Metall, das jede Gestalt annehmen kann! Wie krass ist das denn?


Gelungene Antagonisten strahlen Kompetenz, Sicherheit, Intelligenz oder Stärke aus. Vielleicht hat er auch einen gewissen Style oder einen Humor, den die Leser lieben. Oder er handelt besonders strategisch und manipulativ, sodass er dem Protagonisten immer einen Schritt voraus erscheint. All das, was ihn überlegener wirken lässt, ist ein guter Ansatzpunkt für seine Ausgestaltung.


Auch hier kann wieder mit der Verbindung zum Protagonisten gearbeitet werden. Gemeinsamkeiten erzeugen eine emotionale Nähe und bestärken den Eindruck einer schicksalhaften Begegnung, einer Ebenbürtigkeit. Gegenteilige Eigenschaften helfen, um die Schwächen des Protagonisten zu entlarven. Hier spricht man von einer Negativspiegelung. Der Held ist der geordnete, strukturierte Saubermann? Gib ihm einen Widersacher, der jegliche Strukturen bricht und das Chaos in sein Leben bringt. Der Held setzt sich für Schwächere ein? Der Antagonist entführt sein Kind und setzt ihn vor die Wahl: Kind oder Welt retten?



Tipp 6: Vermeide Klischees


Baue eine Vielschichtigkeit auf. Eindeutige Gut- und Böse-Zuschreibungen sind – spätestens, seit James Bond ein Alkoholproblem hat, – absolut von gestern. Vielschichtigkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit geben dem Antagonisten wie auch dem Protagonisten mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit und machen beide interessanter.

Der Gegenspieler muss nicht einmal besonders verwerfliche Eigenschaften haben. Gut gemeinte Ratschläge können genauso Hindernisse auf dem Weg sein. Die liebende Ehefrau, der beste Freund, die doch immer nur das Beste für den Protagonisten wollen … Denk dran: Derjenige, der sich den Zielen des Protagonisten in den Weg stellt, gilt als Antagonist.


Hierin Klischees zu vermeiden, ist gar nicht so einfach. Es ist nämlich so, dass unser Gehirn die besonders viel befahrenen Straßen der neuronalen Verknüpfungen auch besonders gern nutzt. Deshalb springen wir so schnell auf die Ideen an, die wir bereits hundertmal irgendwo anders gesehen haben und die dieses wohlige Gefühl des Vertrauten in uns auslösen. Stichwort effiziente Energieeinteilung, da sind wir wieder.

Eine Durchbrechung dieser Muster ist jedoch dann möglich, wenn wir ein klein wenig Hirnschmalz dafür einsetzen und uns dazu zwingen, neue Bahnen einzuschlagen. Und ja, das kann Arbeit bedeuten. Irgendjemand (der mir grad nicht einfallen will) sagte dazu mal: Schreibe dir die ersten zehn Ideen auf, die dir einfallen, und nimm die elfte. Nimm Altbekanntes und verpacke es in ein neues Gewand. Arbeite entgegen der Lesererwartungen (Obacht: nicht gegen die Genreerwartungen!), damit sie am Ende denken: Genial, darauf wäre ich nie gekommen!



Tipp 7: Gib dem Antagonisten den nötigen Raum im Buch


Bevor es ans Schreiben geht, musst du die Rollenverteilung klar haben: Wer ist der Held, wer das Opfer und wer der Widersacher? Jede Rolle hat eine klare Funktion in der Geschichte, was nicht bedeutet, dass diese Rollen sich nicht überlagern oder im Laufe der Story tauschen dürfen. Gerade in Thrillern ergeben sich starke Twists, wenn der Held der eigentliche Schurke ist, der Schurke das eigentliche Opfer, das Opfer der eigentliche Schurke … Je nach Rollenverteilung empfiehlt sich ein anderer Aufbau. Ist der Protagonist der Held deiner Story, lasse ihn scheinbar verlieren, um erst ganz zum Schluss das Blatt zu wenden und ihn über den Antagonisten siegen zu lassen. Ist der Protagonist das Opfer, lass den Antagonisten gewinnen. Solche Rollenzuschreibungen lassen sich von Anfang an schön in einfachen Diagrammen oder Mind Maps festhalten, um diese Verläufe klar zu haben.


Beim Schreiben selbst ist es bereits der auslösende Moment, der diese Rollen definiert und in Gang setzt. In einem klassischen Krimi ist es der Mord: Das Opfer ist tot, der Täter wird zum Antagonisten, der seine Tat vertuschen will, der Ermittler zum Protagonisten, der ihn überführen will. Nachdem der Antagonist hier bereits vorgestellt wird, steht im Anfangsteil des Romans die Entwicklung des Protagonisten im Vordergrund. Dieser Part fällt beim Schreiben meistens leicht, da hier die größte Identifikation mit dem Protagonisten besteht.


Dann aber kommt der Mittelteil. Die Story hängt fest, es geht nicht so richtig weiter … Das geschieht vor allem dann, wenn der Antagonist vernachlässigt wurde. Spätestens der Mittelteil sollte jedoch vom Antagonisten dominiert werden. Die Konzentration auf ihn bewahrt dich davor, Zehntausende Wörter im Nirwana zielloser Nebenhandlungen versickern zu lassen, sondern hilft dir, klare Wendepunkte und Höhepunkte herauszuarbeiten und die Dynamik der Story zu erhöhen.


Wichtig ist, dass der Antagonist als Held seiner eigenen Geschichte aufzufassen ist und daher seinen eigenen Raum zur Entfaltung bekommt. Für gewöhnlich hält er sich nicht für einen Schurken. Seine Handlungen machen für ihn Sinn. Lass sie auch bei den Lesern Sinn ergeben. Dies mündet in einem ultimativen Moment, in dem er zu Wort kommt. Gib ihm einen starke Szene, in dem er den Lesern unmissverständlich deutlich machen will, dass er Recht hat und das Richtige tut. Glaube beim Schreiben selbst daran, dass er Recht hat. Dann werden auch die Leser ihm das abkaufen und deinen Antagonisten lieben.


Zuletzt: Achte darauf, dass der Konflikt zwischen Protagonist und Antagonist bis zum Schluss anhält und erst in der letzten Auflösung entschieden wird. Diese Konfrontation ist das, worauf du hinarbeitest und was den Spannungsbogen über 300 Seiten durchträgt. Steigere den Konflikt immer weiter und lasse ihn ja nicht – ja nicht! – frühzeitig beendet werden, wenn du willst, dass auch die letzten Seiten noch gelesen werden.



5. Zusammenfassung


Der Antagonist ist es, der einen lahmen Protagonisten Feuer unterm Hintern macht und eine zähe Story in einen kurzweiligen Sprint verwandelt. Feier ihn dafür! Gib ihm Beachtung, beschäftige dich mit seiner Rolle in deiner Geschichten und ziehe dafür die sieben Tipps zurate:


1. Plane den Antagonisten zuerst.

2. Gib dem Antagonisten eine klare, nachvollziehbare und eigene Prämisse, auf der er sein Weltbild aufbaut.

3. Schaffe eine klare Verbindung zum Protagonisten, um maximalen Konflikt zu erzeugen.

4. Erhöhe die Kosten.

5. Lasse ihn stärker als den Protagonisten sein.

6. Vermeide Klischees.

7. Gib dem Antagonisten den nötigen Raum im Buch.


Einen vielschichtigen Antagonisten zu erschaffen macht nicht nur wirklich Spaß – er wird deine Story in jedem Fall bereichern und sie zu etwas Wundervollem machen. Ich bin mir sicher: Hast du einen starken Antagonisten, wirst du auch eine starke Story haben. Oder um es mit Story Grid-Autor Shawn Coyne auszudrücken:


„If you can create an antagonist, that’s unique, innovative and interesting, you can write anything.“


Lara Eliasch

Lektoratsstube.de



Quellen


Abigail K. Perry: Character Craze: Why Writers Should Develop the Antagonist First.


Ashley Scott Meyers: How to Create the Perfect Antagonist. https://creativescreenwriting.com/antagonist/


Marissa Frosch: What’s in a Villain?


Shawn Coyne, Tim Grahl: Story Grid Podcast #4: How does Stephen Kind write?


The Ready Writers: Creating the Perfect Antagonist.



Tim Grahl: Writing a Great Villain. https://storygrid.com/writing-a-great-villain/


Valerie Francis: Stories Need Great Villains.


Valerie Francis: Planning the Hero, Victim and Villain.








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