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  • AutorenbildLara Eliasch

6 Kniffe, wie du Hinweise verstecken kannst

(Achtung, der Artikel enthält Spoiler zu folgenden Filmen/Büchern: Die Verurteilten, Fight Club, The Sixth Sense, Die Unfassbaren, Abbitte)

Lupe zeigt auf ein Buch

Hast du schonmal einen Roman gelesen, bei dem du dir bei der Auflösung auf die Stirn geschlagen hast und dachtest: ”Warum bin ich da nur nicht selbst drauf gekommen? Die Hinweise waren alle da, es war doch offensichtlich, warum hab ich das nicht gesehen?" Oder bei dem du erschütterst warst, wer der eigentliche Täter/Liebhaber/Drahtzieher/Verräter war, und du dann gemerkt hast, dass es komplett logisch war und es nur so sein konnte?

Dann war es ein Roman, bei dem der Autor eine Kunst sehr gut beherrschte: Hinweise verstecken.


Wenn du in der Lage bist, deine Leser so lange im Dunkeln zu belassen, dass sie nicht von selbst auf die tatsächliche Lösung kommen – und diese Lösung aber am Ende komplett unausweichlich und logisch erscheint, dann hast du etwas Magisches erschaffen. Das sind dann die Momente, die die Leser sprachlos hinterlassen, sie begeistert über deinen Roman reden lassen und ihnen noch lange in Erinnerung bleiben.


Ein Muss sind diese Taktiken in Krimis und Thrillern, da diese Genres davon leben, die wahre Identität des Täters, den Tatverlauf oder die Motive hinter dem Verbrechen so lange wie möglich zu verbergen, um Spannung aufzubauen. Aber auch in anderen Genres funktionieren diese Verschleierungstechniken wunderbar, um Wendepunkte einzuleiten und für Aha-Momente zu sorgen.

Es soll nicht direkt klarwerden, wer der eigentliche Bösewicht ist? Es gibt eine heimliche Affäre, von der die Leser noch nichts wissen sollen? Es gibt ein großes Geheimnis in der Vergangenheit, das erst zum Ende hin offenbart wird? Nutze diese 6 Kniffe, um deine Hinweise so smart wie möglich zu verstecken, dann werden die Offenbarungen umso wirkungsvoller einschlagen.


Bereit? Let's go.


1. Kniff: Arbeite mit Auslassungen


Ein Puzzle, in dem ein Teil fehlt

Dass wir nicht direkt das ganze Geheimnis preisgeben, ist klar. Geben wir aber rein gar keine Hinweise und halten etwas Entscheidendes komplett im Dunkeln, besteht die Gefahr, dass die große Offenbarung unbefriedigend wirkt. Die Leser hatten gar keine Chance, selbst auf diese Auflösung zu kommen, zudem erscheint die Wende wie aus dem Nichts. Das führt nur zu Unzufriedenheit bei den Lesern.

Vorbereitung ist also wichtig.


Aber: Es ist dir überlassen, was du erzählst – und was nicht.


Beispiel: Die Verurteilten (1994) (Spoiler enthalten!)

Andy steckt unschuldig im Gefängnis und erträgt dort Tag für Tag schlimmste Erniedrigung und Misshandlungen. Wir begleiten ihn in jedem Details seines Tages, sehen ihn bei der Gefängnisarbeit, beim Spaziergang über den Gefängnishof, beim Essen, beim Duschen. Durch diese Einsicht in die privatesten und alltäglichsten Tätigkeiten bekommen wir das Gefühl, ALLES mitzubekommen. Wir entwickeln so eine Vertrautheit mit Andy, dass wir uns nicht vorstellen können, er verberge etwas vor uns. Tut er aber! Was nämlich klammheimlich ausgelassen wird: Die Nächte. Da wir sonst lückenlos alles mitbekommen, fällt es kaum auf, dass es keine Szene gibt, in der wir ihn nachts allein in seiner Zelle erleben – und bekommen deshalb nicht mit, dass der gewitzte Kerl sich über die Jahre – 19 Jahre! – mit einem kleinen Geologenhammer einen gewaltigen Tunnel bis zur Kanalisation ausgegraben hat, tagsüber versteckt von einem übergroßen Poster.

Dass es dabei durchaus Hinweise gab, die auf seine nächtliche Arbeit hindeuteten, erschließt sich im Nachhinein, aber dazu gleich mehr.


Lerne also: Gib nur Bruchstücke über das Geheimnis preis und lass genug Lücken offen, die du später mit der Auflösung füllen kannst. Je mehr du deinen Lesern dabei das Gefühl gibst, dass sie lückenlos alles vom Protagonisten (oder dem Umstand, der Tat, dem Gebäude whatever) wissen, und je mehr Vertrautheit du vielleicht sogar mit der entsprechenden Figur aufbaust (sie wie Andy zum Beispiel also auch in sehr privaten Situation zeigst), desto mehr blendet der Leser mutmaßliche Lücken aus und wiegt er sich in Sicherheit.


2. Kniff: Bette den Hinweis in andere Zusammenhänge ein

Eine Frau, die einen leeren Rahmen aufhängt

In diesem Ansatz verschweigst du nichts, du baust wichtige Hinweise und Fakten ganz offen und direkt ein – du veränderst aber den Rahmen, indem du diese Details in andere/komplizierte/banale Zusammenhänge stellst. Damit baust du einen neuen Deutungsrahmen auf, der Effekt des "Framings" setzt ein. Das bedeutet so viel, dass du durch die gezielte Einbettung der Information steuerst, wie sie wahrgenommen wird – obwohl die Information selbst sich nicht verändert hat.

Einfaches Beispiel: Die Werbeaussage "Nur heute so günstig wie nie" reizt uns natürlich mehr zum Kauf als die Aussage "Heute 2 Cent reduziert", auch wenn sich beide Aussagen faktisch auf dieselbe Ausgangslage beziehen: In der Vergangenheit kostete der Artikel zwei Cent teurer. Und wenn wir die (frei ausgedachte) Meldung hören: "Jeder 10. Jugendliche in Deutschland raucht täglich", sorgen wir uns mehr um unseren Nachwuchs, als wenn uns gesagt wird: "Die Rate der Raucher unter den Jugendlichen ist auf einem Rekordtief von 10 Prozent."


Das Prinzip also: Verfremde den Kontext, in die du deine Hinweise setzt, um ihre (Fehl-)Deutung zu steuern.

Braucht dein Mörder eine Waffe auf dem Familienausflug? Packt er vorher ein Messer in den Koffer ein, ist's zu offensichtlich. Sie gar nicht zu erwähnen, funktioniert aber auch nicht, da sie sonst aus dem Nichts auftauchen würde. Besteht der Vater allerdings darauf, dass er seine eigenen Küchenutensilien zum Ferienhaus mitnehmen will, fällt das Schälmesser in einer Aufzählung von Pfannenhebern, Salatschleudern und Rührstäben nicht auf. Und voilà – hat er schon auf dem Weg hin eine Waffe für seine Schandtat parat und die Leser sind überrascht, und doch nicht vor den Kopf gestoßen, wenn er das Schälmesser zweckentfremdet.


Ein anderes – sicherlich weitaus besseres Beispiel, da Hollywoodklassiker: Fight Club (1999)

Der namenlose Protagonist ist gerade zu Tyler gezogen, der eine leerstehende verwahrloste Villa besetzt hat (oder sie besitzt, beides würde den Protagonisten bei dem direkten und raubeinigen Tyler nicht überraschen). Er beschreibt den üblen Zustand der Villa in einer längeren Aufzählung: Es regnet rein, bei Regen muss der Strom ausgeschaltet werden, alles ist rostig, der Kühlschrank ist nur lauwarm.

Und dann: Dann folgt ein Hinweis, der schon im ersten Viertel des Films auf die Pointe des Films hindeutet. Der Protagonist sitzt vor einem wahllosen Haufen von alten Büchern und wundert sich über einige von ihnen, die in der Ich-Perspektive aus der Sicht eines Organs geschrieben sind. Er liest Tyler laut vor: "Ich bin Jacks Medulla oblongata. Ich reguliere Jacks Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung. " Das geht dann weiter mit: "Ich bin Jills Brustwarze. Ich bin Jacks Dickdarm." Tyler, der mit einem Fahrrad durch die Villa düst, ruft von hinten zu: "Ich bin Jacks Prostata. Ich kriege Krebs. Ich bringe ihn um."

Abgesehen davon, dass der "Ich bin Jack"-Spruch zum geflügelten Wort im Film wird ("Ich bin Jacks kalter Schweiß", "Ich bin Jack’s vergeudetes Leben", "Ich bin Jack’s vollkommenes Defizit an Überraschung"), wird hier bereits die dissoziative Identitätsstörung angedeutet, unter der der Protagonist leidet: Er und Tyler sind ein- und dieselbe Person, Tyler ist der Teil seiner Persönlichkeit, der Anarchie und Zerstörung sucht. Es hat sich von ihm abgekoppelt, breitet sich wie ein Krebs in seinem Leben aus und wendet sich schließlich gegen ihn. "Jack und Jill", die Namen im Zitat, sind dabei die generischen Namen, die im Englischsprachigen genannt werden, wenn "Jedermann" gemeint ist, jemand ohne distinktive Eigenschaften, ohne eigene Namen – wie der namenlose Protagonist eben.

Würden diese Bücher in einem anderen Kontext im Film auftauchen, zentraler, gewichtiger platziert werden, würden wir als Zuschauer länger über den Krebs-Spruch nachdenken und vielleicht schon früher auf die Konklusion des Filmes kommen. Da die Bücher aber nur als eine weitere Absurdität in der verwahrlosten Villa aufgezählt wurden, verbuchen wir das unter "Haha, witzig" und denken nicht mehr weiter darüber nach.


Denk also dran: Setze wichtige Hinweise, die dir deine ganze Pointe vorbereiten, in einen Rahmen, der sie in einen anderen Zusammenhang stellt und ihre Relevanz herunterspielt.


3. Kniff: Verstreue die Fakten


Ein Kartenspiel, in dem die Karten durcheinander gekommen sind

Auf Seite 20 sagt Peter, er ging am Tatabend früh ins Bett, auf Seite 200 erzählt er, er kam schlecht aus dem Bett, weil es am Abend so spät geworden war. Dass hier ein Widerspruch besteht, werden nur die wenigsten Leser bemerken, da die Informationen zu weit auseinander stehen, und doch wird der gewitzte Detektiv ihm genau das bei der Auflösung vor die Nase halten und ihn damit als Täter überführen.

Die Hinweise waren alle da, doch erst im Zusammenhang erschließen sie sich – und genau hier setzt diese Taktik ein: Du reißt den Zusammenhang auseinander, indem du die Hinweise schön weit voneinander entfernt verstreust.


Zurück zum Beispiel von dem ausgebuddelten Fluchtweg durch die Wand aus Die Verurteilten.

Hätte sich Andy das Poster und Werkzeug in derselben Szene zugelegt, als er auch entdeckt hat, wie bröckelig die Wand in seiner Zelle ist, hätten wir Zuschauer diese Einzelheiten sofort in einen Zusammenhang miteinander gebracht. Damit wäre schnell klar, was er vorhat – der Überraschungseffekt wäre verloren gegangen. Da er sich das Poster, mit dem er das ausgehauene Loch in der Wand tagsüber abdeckt, aber etliche Szenen nach der Begutachtung der Wand wünscht und auch der Hammer erst nochmal viele Szenen später kommt, bringen wir das nicht zusammen. (Wie Andy bei seiner Flucht durch den Tunnel das Poster wieder säuberlich an die Wand befestigen konnte, ist eine andere Frage, aber die soll uns hier mal nicht beschäftigen.)


Übrigens: Andy wünscht sich kein beliebiges Poster, sondern das von der "reizenden Rita Hayworth" in Fellbikini. Sein Gefängnisfreund Red grinst auf diese Bitte sofort verständnisvoll und damit wird auch der Zuschauer von der wahren Funktion des Posters abgelenkt – natürlich hängen sich Gefängnisinsassen gern mal Bilder einer hübschen Frau in die Zelle. Damit kommen wir auch direkt zum nächsten Kniff: Der Ablenkung.


4. Kniff: Führe auf eine falsche Fährte


Ein bunter Wegweiser aus Holz

Der klassische Red Herring, das Ablenkungsmanöver, das uns von den wahren Tatsachen ablenkt: Die falsche Fährte. Hier wird die Aufmerksamkeit des Lesers gezielt absorbiert und umgeleitet, es werden andere Rätsel und Hinweise gegeben, die den Leser nicht nur beschäftigt halten, sondern ihn zu falschen Schlüssen ermutigen. Die Wahrheit liegt damit nicht offensichtlich vor Augen, obwohl man auf sie kommen könnte.


Ein Experiment: Welches Tier passt nicht in dieser Aufzählung: Hering – Wal – Delfin – Bär? Du weißt jetzt natürlich Bescheid und überlegst zweimal, spontan werden die meisten aber den Bären nennen, da es das einzige Landlebewesen in der Aufzählung ist. Dass dabei der Hering als einziger in der Aufzählung kein Säugetier ist, wird erst auf den zweiten Blick klar. Wenn eine naheliegendere Schlussfolgerung möglich ist, will unser Gehirn auch darauf zurückgreifen. Auf einen anderen Schluss zu kommen als den vermeintlich offensichtlichen, braucht mehr Anstrengung und genau diese Tatsache kannst du nutzen, um von der wahren Deutungsebene abzulenken: Baue eine zweite, offensichtlichere Deutungsmöglichkeit ein, um von den tatsächlichen Lösungen abzulenken.


Beispiel: The Sixth Sense (1999)

Hier wird ganz zu Beginn eine falsche Fährte vorgegeben, die dich dazu führt, das Verhalten der Figuren so zu interpretieren, wie die Filmemacher es von dir wollen. Die Hauptfigur Dr. Malcolm Crowe wird von Anfang an wirkungsvoll als erfolgreicher Kinderpsychologe dargestellt, der es mit besonderem Feingefühl schafft, Kindern zu helfen. Wir lernen ihn kennen, als er eine Auszeichnung für seine überragenden Leistungen feiert, seine Frau bestätigt, dass er eine "besondere Gabe" hat. Das Framing ist klar: Crowe ist unser Held, er hat's drauf, er weiß genau, was er tut.

Der Schuss eines ehemaligen Patienten auf ihn bleibt dabei interpretationsoffen. Zeitsprung. Neuer Patient: der neunjährige Cole. Es scheint alles seinen gehabten Weg weiterzugehen, puh, Glück gehabt.

Der Junge als zweiter Protagonist wird direkt mit einer einschlägigen Fallbeschreibung skizziert: "Eltern geschieden, akute Angstzustände, sozial isoliert, Verdacht auf emotionale Störung." Ein klassischer Fall für den Kinderpsychologen.

Mit diesen Voraussetzungen deuten wir nun also jedes weitere Agieren der beiden Protagonisten. Der Junge läuft vor dem Psychologen weg, als er ihn das erste Mal sieht? Klar, er hat ja auch Angstzustände. Der Junge schweigt und zeigt sich wenig kooperativ? Natürlich, er ist sozial isoliert und in sich gekehrt. Dass Dr. Crowe im Verlauf dann beinahe ausschließlich nur in Szenen mit Cole gezeigt wird, in denen er mit ihm allein ist, sei es in seiner Praxis, bei ihm zu Hause, in der Kirche oder in Coles Schule, deuten wir dahingehend, dass er ein sehr engagierter und unkonventioneller Psychologe ist, der dem Kind sehr einfühlsam begegnet und einen Raum sucht, der dem Jungen vertraut ist. Bald erfährt der Psychologe die Ursache für Coles Angstzustände: Er sieht tote Menschen, die als Geister mit ihm reden und ihm mal mehr, mal weniger zusetzen. Bei diesen Umständen ist das auffällige Verhalten des Kindes nur verständlich, oder?

Die falsche Fährte sitzt.

Denn was wir bei alledem übersehen: Nicht ein einziges Mal steht Dr. Crowe in aktiver Interaktion mit anderen Menschen. Und wenn er das tut, dann nur scheinbar. Es fehlen die Reaktionen, die Antworten, der Blickkontakt. Die Mutter Coles muss zufällig noch was kochen und verlässt das Zimmer, als der Psychologe seine erste Sitzung hat, seine Ehefrau ist schon schlafen, wenn er nach Hause kommt, das Schulbüro ist nicht besetzt, als er dort ist. Diese an sich auffälligen Hinweise interpretieren wir so lange gemäß der falschen Fährte ("besondere Gabe" des Psychologen, oh ja, ist er nicht engagiert?), bis wir die wahre Deutung erkennen: Er selbst ist ein Geist. Der Schuss zu Beginn des Films ging nicht glimpflich aus, wie wir vermuten. Die Beziehung zu seiner Frau ist seitdem nicht ein wenig gestört, was wir als Ursache für ihre Schweigsamkeit vermuten – ihr Ehemann ist tot. Und Cole rennt nicht vor ihm weg, weil er schüchtern ist, sondern weil er Angst hat – Angst vor IHM. Ihm, eine weitere Geistererscheinung in seiner kleinen Kinderwelt.


Heißt für dich: Die falsche Fährte – die falsche Deutung – muss nicht nur naheliegender und logischer für die Leser erscheinen, sie sollte am besten auch schon so früh wie möglich eingebaut werden, um gar nicht erst viel Raum für andere Spekulationen zuzulassen, die deinen Wow-Effekt zerstören könnten. Hätten wir Dr. Crowe nicht als genialen Fachmann mit Auszeichnung kennengelernt, sondern als schrulligen Wichtigtuer ohne Ansehen und Erfolge, würden wir stutzig werden, dass niemand – wirklich niemand – mit ihm interagiert (klar, keiner außer Cole sieht ihn ja), ihn in seinen Versuchen für inkompetent halten und es als eigenartig empfinden, dass dieser Kerl ins Schlafzimmer des Kindes gelassen wird. Nur die anfänglich etablierte soziale Anerkennung gibt ihm in unseren Augen das nötige Ansehen, um das durchgehen zu lassen. Sitzt er dann einfach schweigend und ernst in seinem Sessel, denken wir: Der weiß schon, was er tut. Er ist ja der mit der "besonderen Gabe" – und so denken wir keinen Moment daran, dass es der Junge ist, der die außergewöhnliche Gabe haben könnte.


5. Kniff: Setze den Knalleffekt ein

Ein Klassiker, wie du ihn in jeder Zaubershow erlebst: Irgendwo knallt etwas, und während du dem Rauch folgst, tauscht der Zauberer die Karte aus oder setzt das Kaninchen in den Hut. Tada! Hat keiner gemerkt. Es folgen große Augen und "WIE HAT ER DAS NUR GEMACHT??"-Ausrufe.

Die Schwierigkeit dabei: Zum einen muss die Aufmerksamkeit gelungen absorbiert werden. Der Effekt muss sich lohnen. Zum anderen muss das eigentliche Vorgehen dahinter sehr schnell und unauffällig geschehen. Da wir gewiefte Zuschauer sind, achten wir natürlich bei jedem Knall genau auf die Hände des Zauberers und auf das, was er verbergen will. Geschick und Raffinesse ist bei dieser Methode deshalb unerlässlich, sonst wirkt es schnell wie billige Effekthascherei. Ich betone nochmal: Halte deine Leser nicht für dumm! Je raffinierter und subtiler du in diesen Methoden vorgehst, desto mehr fühlen sich die Leser von dir in ihrem Intellekt respektiert und desto mehr trauen sie dir als Autor.


Und nun zum Eingemachten: Wie setzt du den Knalleffekt im Roman um?


Ein sehr guter Weg ist es meines Erachtens, die Aufmerksamkeit deiner Leser mit "emotionalem Lärm" zu bündeln. Steht ein besonderes Ereignis im Raum – ein Begräbnis, eine Feier, eine Liebesbekundung, ein wichtiges Spiel –, sind die Leser emotional darin involviert. Sie trauern, freuen sich, schmachten dahin oder fiebern mit. Und Zack, übersehen wir ein wichtiges Detail, das später zur Wende oder Aufklärung führt. Klar, wenn sich mitten auf der Begräbnisfeier der kühle Onkel von seiner gefühlvollen Seite zeigt und die Witwe weinend umarmt, sind wir so berührt, dass es nicht auffällt, wenn seine Hände dabei kurz in ihre Jackentaschen fassen – und er das Beweisfoto gegen ihn entwendet. Und wenn mitten in der langersehnten Sexszene auf einmal eine Fehlermeldung auf dem Laptop erscheint, interessiert uns das schlichtweg nicht, selbst wenn es darauf hindeutet, dass gleichzeitig ein großangelegter Cyberangriff stattfindet. Klappt der Protagonist den Laptop dann beiläufig einfach zu, um sich nicht stören zu lassen, verstehen wir das im Grundgefühl der Szene und denken uns natürlich nicht direkt, dass er vor seiner Angebeteten etwas Wichtiges verbergen will.


Neben dem "emotionalen Knalleffekt" kannst du genauso auch für Trubel im Plot sorgen.

Der Zug bleibt stehen, Hektik bricht aus, alle packen ihre Taschen und drängen sich zum Ausgang – hoppla, da hat einer gezaubert und niemand hat's gemerkt.

Eine Fluchtszene, die Bande rennt vor der Polizei weg, es werden Schüsse auf sie abgefeuert, sie laufen mitten auf die Straße, zwei Autos stoßen wegen ihnen zusammen, Mark drängt Jenna mit einem Schultergriff dazu, nicht langsamer zu werden – huch, er ihr da einen Peilsender angesteckt? Du verstehst das Prinzip ;).


Ein Beispiel aus der Filmwelt gefällig?: Die Unfassbaren (2013)

Jap, hier haben wir das Paradebeispiel von Zaubershows, die mit Knalleffekten arbeiten, um die Zuschauer vom wahren Geschehen abzulenken. Vier Meisterdiebe veranstalten effektvolle Zaubershows, in denen es zu jeder Vorstellung am Ende Geldscheine auf die frenetischen Zuschauer regnet, während live übertragen wird, wie irgendwo wie durch Geisterhand Safes geknackt werden.

Das Besondere hierbei: In diesen Fall sind die Shows selbst das Ablenkungsmanöver, nämlich gleich auf zwei Ebenen. Einmal wird die Polizei im Film mit ihnen auf Trab gehalten. Bis sie so weit sind, den Einbruch zu lokalisieren und den Showmastern ein Verbrechen nachzuweisen, sind diese bereits über alle Berge. Ein Katz-und-Maus-Spiel, das sehr zum Reiz des Plots beiträgt, aber durchaus bekannt ist.

Den besonderen Twist gibt dem Ganzen aber erst die zweite Ebene der Ablenkung. Die Frage, die nämlich sehr lange offenbleibt, ist, wer der mysteriöse Geldgeber und Initiator der Apokalyptischen Vier ist – und was seine Motive sind. Erst zur großen Auflösung am Ende wird offenbart, dass es der Detective selbst ist, der unter Geheimhaltung seiner Identität die vier engagiert hat, die Verbrechen auszuführen. Eben der Detective, den wir die ganze Zeit über als frustrierten Polizisten erlebt haben, da er bei seinen Ermittlungen keinen Schritt weiterkommt. Und erst dann, bei näherer Betrachtung und vielleicht zweitem Gucken, entdecken wir das, wovon die Zaubershows und der Geldraub die ganze Zeit abgelenkt haben: Dass er selbst seine eigenen Ermittlungen verdeckt sabotiert hat und den Apokalyptischen Vier damit den Weg freigehalten hat.


Du siehst: Der Knalleffekt kann auch ganze Identitäten verschleiern. Halte deine Leser nur lange genug mit kniffligen Fällen, ungelösten Fragen, spannenden Szenen und emotionalen Ereignissen abgelenkt, dann hast du alle Zeit der Welt, im Hintergrund deine ganz eigenen Fäden zu spinnen, die deinen Plottwist zum großen Highlight des Buches machen.


6. Kniff: Unglaubwürdiger Hinweisgeber

Schauspielerin in Dramastück

Stell dir vor, die Zeugin gibt schon auf Seite 10 alle relevanten Hinweise preis, die zum Überführen des Täters reichen. Unter Umständen recht langweilig, wenn der Detektiv nur noch diesen Hinweisen folgen muss und schon hat er den Mörder.

Stell dir aber vor, diese Zeugin ist Frau Nolte, eine Nachbarin, die dafür bekannt ist, dass sie gerne mal einen über den Durst trinkt und sich ständig die aberwitzigsten Geschichten ausdenkt, nur um den spektakulärsten Klatsch zu verbreiten. Was auch immer sie auf Seite 10 verrät – niemand wird es ernst nehmen (vor allem, wenn du das Framing richtig setzt und die Wahrheit zwischen drei glaubwürdigeren Lügen stellst).


Es spielt also nicht nur eine Rolle, WIE du den Hinweis verpackst, WANN du ihn gibst und WAS drumherum geschieht, sondern auch WER den Hinweis gibt. Arbeite mit unzuverlässigen Quellen, und du kannst getrost davon ausgehen, dass du die Wahrheit offen und blank vor die Nase deiner Leser halten kannst – und sie sie dir nicht abkaufen werden.


Meisterhaft eingesetzt ist diese Strategie bei Ian McEwans "Abbitte". Der erste Teil des Romans hat das zentrale Ereignis eines Theaterstücks der Haupterzählerin Briony im Mittelpunkt. Briony ist ein unbedarftes Mädchen voller Ambitionen, eine große Geschichtenerzählerin zu werden, und nicht weniger gewissenhaft darin, die Kinder des Hauses in das Stück einzubinden und zu den Proben anzuhalten. Die ersten zwei Wörter des Romans lauten: "Das Theaterstück ...", fast schon programmatisch dafür, wie der Rest der Geschichte zu verstehen ist. Ein Schlüsselsatz auf Seite 11:

»Briony gehörte zu den Kindern, die eigensinnig darauf beharren, daß die Welt genau so und nicht anders zu sein hat.«

Und obwohl wir dies so eindeutig vor die Nase geknallt bekommen, obwohl wir sehen, wie eigensinnig sie das Flirten zwischen ihrer zehn Jahre älteren Schwester Cecilia und dem jungen Robbie auffasst und ihre ganz eigene Version aus ihren Beobachtungen spinnt – die letztlich dazu führen, dass Robbie einer Vergewaltigung bezichtigt wird und ins Gefängnis kommt (vom dem er nur früher entlassen wird, weil er zustimmt, im Zweiten Weltkrieg zu dienen), kommen wir nicht darauf, den Rest des Romans einer unglaubwürdigen Erzählerin zuzuschreiben.

In Teil 2 und 3 des Romans wird erzählt, wie Robbie in Dünkirchen schwer verletzt wird, wie Briony ihre Schwester aufsucht und ihr beichtet, dass sie damals eine Falschaussage gegen Robbie gegeben hat, wie Robbie und Cecilia wieder zusammenfinden und letztlich alles bereinigt werden kann.

Diese gesamten Geschehnisse von Teil 2 und 3 entpuppen sich im Nachhinein als eine Fiktion der Erzählerin Briony, wie wir am Ende von Teil 3 anhand ihrer Initialen »BT, London 1999« erkennen. Eine Wunschvorstellung, reine Phantasie. Erst im letzten Buchabschnitt erfahren wir, dass beide, Robbie sowie und Cecilia, umgekommen sind, er in Dünkirchen, sie bei einem Angriff in London. Beide haben sich nach dem Tag von Brionys Falschaussage nie wieder gesehen, Briony muss mit ihren Schuldgefühlen leben.


Hier haben wir den Fall, dass es nicht die Wahrheit ist, die wir aus dem Mund einer unglaubwürdigen Erzählerin nicht glauben, sondern dass wir ihr die Lüge abkaufen. Dabei werden die Hinweise auf eine unglaubwürdige Erzählerin mehr als deutlich gegeben (siehe Zitat). Warum fallen wir trotzdem drauf rein und halten die Haupterzählung von Anfang an für glaubwürdig? Vielleicht, weil wir uns blenden lassen wollen. An das gute Ende glauben wollen. Vielleicht, weil Briony einen guten Job als Geschichtenerzählerin macht. Vielleicht, weil hinter ihr der große McEwan steht, der ganz genau weiß, wie er die Hinweise streuen muss, um uns genau das glauben zu lassen, was wir glauben sollen.


Zusammenfassung

Und genau das macht gute Hinweisführung aus: Du als Autor:in übernimmst die Führung deiner Leserschaft. Du lenkst ihre Aufmerksamkeit und lässt sie genau das sehen und glauben, was du sie glauben lassen willst. Du konstruierst das Geschehen so, dass sie der Twist am Ende aus den Socken haut – und dieser doch absolut unumgänglich und nachvollziehbar erscheint.

Nutze die verschiedenen Strategien, um deine Wendepunkte sorgfältig vorzubereiten und sie dabei so lange wie möglich im Verborgenen zu halten, bis ihre Zeit gekommen ist und sie deine Leser sprachlos hinterlassen:

  1. Lass nur Bruchstücke deiner Informationen an die Oberfläche kommen, um Leerstellen zu behalten, die sich am Ende erschließen.

  2. Bette deine Hinweise in Zusammenhänge ein, mit denen deine Leser sie komplett anders interpretieren.

  3. Verstreue die wesentlichen Fakten so weit voneinander, dass sie nur schwer kombiniert werden können.

  4. Führe deine Leser gezielt auf falsche Fährten, indem du eine zweite Deutungsebene voraus stellst, die offensichtlicher erscheint und die wahre Lösung verschleiert.

  5. Setze mithilfe starker Emotionen, hektischen Spannungsszenen oder großen Offenbarungen Knalleffekte ein, die vom Wesentlichen ablenken.

  6. Und arbeite mit unglaubwürdigen Hinweisgebern und Erzählern, sodass du Wahrheiten verschleierst oder neue Interpretationen erlaubst, sobald Lüge und Wahrheit sich offenbaren.


Ich wünsch dir viel Spaß beim Ostereierverstecken! Und wenn du dich fragst, wie du in DEINER eigenen Geschichte die Hinweise bestmöglich verstecken, die Wahrheit tarnen und die Wendepunkte optimal vorbereiten kannst, schreib mir! Ich unterstütze dich gern bei deinem Romanprojekt.


Deine Larissa von der Lektoratsstube




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